Picture

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

27. Januar 2018
10:30 Uhr bis 12:00 Uhr
Festsaal des ZfP Reichenau

Gewalt und Unterdrückung in Institutionen und deren Aufarbeitung Jahre und Jahrzehnte danach
Pater Klaus Mertes SJ, Kollegsdirektor des Jesuitenkollegs Sankt Blasien

Im Januar 1996 proklamierte der damalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch Sowjetische Truppen am 27.1.1945 zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, unter anderem mit den Worten: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedanken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“ 2005 erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum internationalen Holocaustgedenktag. 2008 führte Dr. Norbert Lammert, der Präsident des Deutschen Bundestages, unter anderem hierzu aus: „Wir gedenken aller Opfer eines beispiellosen totalitären Regimes: Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuellen, politisch Andersdenkenden sowie Männern und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftlern, Künstlern, Journalisten, Kriegsgefangenen und Deserteuren, Greisen und Kindern an der Front, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und der Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden... Und wir bekennen zugleich unsere besondere Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz.“
Seit vielen Jahren begeht das Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Reichenau diesen Gedenktag mit öffentlichen Fachvorträgen aus Psychiatrie, Ethik und Justiz sowie mit einer Kranzniederlegung an unserem Mahnmal für die ermordeten Patientinnen und Patienten aus unserer psychiatrischen Klinik. Dieses Jahr wird Klaus Mertes, Direktor des Jesuitenkollegs in Sankt Blasien, über Gewalt und Unterdrückung in Institutionen und deren Aufarbeitung Jahre und Jahrzehnte danach referieren. Gewalterfahrungen in Institutionen haben einen doppelten Aspekt: Zum einen die konkrete Erfahrung der Gewalt durch konkrete Täter, zum anderen die Erfahrung, dass die Institution versagt hat – indem sie entweder zugesehen hat, oder nicht gesehen hat, oder in dem Moment, wo sie hätte den notwendigen Schutz geben können, diesen aus unterschiedlichen Gründen versagte. In der Rückschau ist für die Gewaltopfer oft das Versagen der Institution das größere Problem in der Aufarbeitung als das konkrete Verhältnis zu den Tätern, zumal dann, wenn diese verstorben sind. Umgekehrt sind diejenigen Personen, die in der verantwortlichen Position sind, ihrerseits gefragt, wie sie sich in dem Geschehen positionieren: Ob sie die Verantwortung für die Institution wegen des lange zurückliegenden Gewaltaktes zurückweisen, oder ob sie sich selbst und ihre Institution so verstehen, dass sie sich in einer Verantwortungskontinuität sehen, die dazu führt, dass sie den Opfern gegenüber tatsächlich auch Verantwortung für die Institution übernehmen.
Mertes, seit 1977 Mitglied des Jesuitenordens, ist Theologe, Slawist und Altphilologe und war von 2000 bis 2011 Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin. Öffentlich bekannt wurde er durch seinen Einsatz zur Aufdeckung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, wofür ihm 2012 der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis verliehen wurde. Des Weiteren war er Rektor der Kirche Maria Regina Martyrum unweit der Gedenkstätte Plötzensee in Berlin, der katholischen Gedenkkirche in Deutschland für die Opfer des Nationalsozialismus. Er ist weiterhin im Kuratorium der Stiftung 20. Juli 1944 und feiert jedes Jahr am 20. Juli in Plötzensee mit den Angehörigen der Ermordeten des Widerstandes den ökumenischen Gedenkgottesdienst.