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Was ist “Individual Placement and Support” (IPS)?

Das Supported Employment-Projekt Reichenau verwendet den sog. Individual Placement and Support (IPS)-Ansatz. IPS bezeichnet den nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen effektivsten Ansatz innerhalb der vielfältigen Varianten der unterstützten Beschäftigung. IPS ist präzise anhand von 15 Kriterien, die die Qualität des Beratungsprozess sicherstellen. Diese Kriterien beinhalten u.a., dass der Beratungsprozess auf rasche Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abzielt, die Arbeitsplatzsuche nach den individuellen Bedürfnissen und Wünschen des Klient*innen erfolgt, das Ziele und Probleme fortlaufend am Arbeitsplatz erfasst und gemeinsam mit dem Arbeitgeber bearbeitet werden und die Unterstützung zeitlich unbefristet ist.

Wichtig: IPS unterscheidet sich erheblich von der sog. Unterstützten Beschäftigung (UB). Dies bezeichnet eine strukturierte berufliche Rehabilitationsmaßnahme, bei der die Klient*innen zunächst in unbezahlte Praktika auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden.

Kann ich mitmachen?

IPS steht grundsätzlich jedem Interessierten offen, der aufgrund einer psychischen Krise oder psychischen Erkrankung Hilfe auf beim Finden und Erhalten einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt benötigen. Vorausgesetzt wird, dass die grundsätzliche Bereitschaft besteht, mit den psychischen Einschränkungen gegenüber dem Arbeitgeber offen umzugehen, so dass der Jobcoach auch unterstützend tätig sein kann. Ob, in welcher Form und wann dies geschieht wird jeweils individuell mit Ihnen abgestimmt. Offen gelegt werden in der Regel lediglich psychisch bedingte Einschränkungen, nicht etwa Diagnosen oder gar persönliche Erlebnisse. Darüber hinaus ist es wichtig, dass eine Unterstützung durch einen Psychiater*in oder Psychotherapeut*innen besteht.

Warum wurde das Supported Employment Projekt Reichenau gegründet?

In vielen Ländern Europas und der Welt gilt IPS als die bevorzugte Rehabilitationsmethode, da sich IPS in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen effektiver als Trainingsprogramme in beschützenden Übungskontexten (z.B. beschützten Werkstätten) erwiesen hat. In Deutschland wird IPS jedoch noch nicht als Regelleistung finanziert. Ziel des klinikfinanzierten Modellprojektes ist deshalb die Umsetzbarkeit und Prakikabilität von IPS modellhaft im Landkreis Konstanz zu überprüfen. Das Supported Employment-Projekt Reichenau sieht sich als Ergänzung zum bestehenden Rehabilitationswesen in der Region. Trainingsmaßnahmen, wie sie z.B. in der Werkstatt für Behindere Menschen, in Beruflichen Trainingszentren oder in stationärer Rehabilitation (RPK) angeboten werden, können für viele Klienten sinnvoll sein, besonders wenn der Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt noch zu schwer erscheint. Viele Betroffene lehnen diese Trainingsmaßnahmen allerdings ab, weil sie nicht auf dem zweiten Arbeitsmarkt tätig sein wollen.

Wie effektiv ist IPS? Wieviele Klient*innen arbeiten tatsächlich?

Seit 2015 wurden bislang 80 IPS-Klient*innen zwischen 6-18 Monaten betreut. 64 Klient*innen waren mit dem Ziel, eine Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten, angetreten. Von diesen waren 54,7% auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt. Bei 38,1% war das Anstellungsverhältnis überdies nachhaltig: Es bestand über das Ende des Studienzeitraumes hinaus, war voll sozialversicherungspflichtig und auf mindestens ein Jahr ausgelegt. 13 von 17 Klient*innen (76,4%) gelang es einen bestehenden Job, der aufgrund psychischer Probleme als gefährdet erlebt wurde, zu erhalten. Alle diese Tätigkeiten waren im o.g. Sinn nachhaltig. Darüber hinaus verglichen wir eine Gruppen junger Psychosebetroffener (21 Klienten) mit einer Kontrollgruppe (n=19), die in angrenzenden Landkreisen andere Unterstützungs- und Rehabilitationsangebote erhielten. Psychosebetroffene gelten als besonders bedroht von Frühberentung. In der IPS-Gruppe 81,8% auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt, 47% nachhaltig. In der Kontrollgruppe waren im gleichen Zeitraum lediglich 21,1% auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt, allerdings konnte kein einziges nachhaltiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen werden. Eine ausführliche Zusammenfassung der bisherigen Studienergebnisse finden Sie im aktuellen Tätigkeitsbericht. Diese Quoten liegen mindestens ebenso hoch (teilweise höher) als die Vermittlungsquoten anderer Maßnahmen. Allerdings sind diese Statistiken nicht unbedingt vergleichbar, u.a. weil nicht klar ist, ob auch die Teilnehmer*innen mit unseren vergleichbar sind. Ein ausgewogene Zusammenfassung der Vermittlungsquoten anderer Maßnahme findet sich unter: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/6f086cca1fce87b992b2514621343930b0c398c5/Expertise_Arbeitssituation_2015-09-14_fin.pdf

Ich bin weniger belastbar. Muss ich damit rechnen, dass ich wieder krank werde?

Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen IPS besteht in der Befürchtung, dass eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über die Belastungsgrenzen der Klient*innen gehen könnte und deshalb auch Krankheitsrückfällen begünstigen könnte. Im Einklang mit einer Vielzahl von Studien aus anderen Ländern fanden wir dafür jedoch keine Hinweise. Die Krankenhausbehandlungstage unterschieden sich nicht in der IPS und der Kontrollgruppe. Insgesamt wiesen die berufstätigen Klient*innen nur 15 Fehltage während eines standardisierten Jahres auf (da noch nicht alle Klient*innen über 18 Monate nachverfolgt werden konnten, wurden diese Angaben auf 12 Monate „hochgerechnet“ oder standardisiert). Die Fehltage der Allgemeinbevölkerung liegen übrigens im Schnitt bei ca. 17 Tagen pro Jahr.

Wie lange dauert es bis eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt begonnen werden kann?

Natürlich ist dies individuell sehr verschieden und hängt u.a. von der Arbeitsmarktlage und auch von der persönlichen Flexibilität ab. Viele Klient*innen entscheiden vor Eintritt in eine reguläre Stelle für eine (in der Regel 1-4 wöchige) Arbeitserprobung. Diejenigen, die eine Stelle antreten, tun dies im Schnitt nach 152 Tagen. Allerdings ist die Spannbreite sehr groß: 40% gelingt dies schon in weniger als 100 Tagen.

Wie viel Geld verdienen die Klient*innen?

Auch dies ist individuell sehr verschieden und hängt u.a. davon ab, ob bereits ein Ausbildungsabschluss, Berufserfahrung oder Stelle vorliegt. Bei ca. 50% Klient*innen liegt der auf 12 Monate standardisierte Bruttoverdienst bei weniger als 50.000€, bei 20% jedoch bei über 20.000 €. Zu bedenken ist, dass eine Stelle oft erst nach mehreren Monaten gefunden wird, was natürlich den Jahresverdienst reduziert. Auch werden Ausbildungsstellen oft sehr niedrig vergütet. Immerhin erreichen jedoch 50% derjenigen, die eine Stelle finden, im Laufe des 18-monatigen Projektzeitraumes eine Vollzeitstelle, so dass Gehaltssteigerungen natürlich möglich und wahrscheinlich sind.

Was muss ich für Voraussetzungen mitbringen?

Jeder, der motiviert ist, kann prinzipiell mitmachen (sofern Plätze verfügbar sind). Nach unserer Erfahrung tun sich Klient*innen leichter, die bereits eigenständig wohnen (können) und zumindest für einige Stunden pro Tag belastbar sind. Ist dies nicht der Fall, kann u.U. zwischenzeitlich eine andere Rehabilitationsmaßnahme, in der diese Einschränkungen besser Rücksicht genommen werden kann, sinnvoller sein.

Ich bin unter 25 Jahre. Kann ich auch schon mitmachen?

Auf jeden Fall. Junge Menschen in Ausbildung und Beruf zu verhelfen ist uns ein großes Anliegen. Neben der bewährten persönlichen Begleitung auf dem Weg ins Berufsleben, werden hier – je nach Bedarf - auch Eltern, Lehrer*innen und Therapeut*innen miteinbezogen.