Das ZfP Reichenau hat zusammen mit dem Interdisziplinären Arbeitskreis für Bewegungstherapie bei psychischen Erkrankungen eine bundesweite Tagung ausgerichtet. Auf dem zweitägigen Programm standen Vorträge und viele praxisnahe Workshops.
Die Stärke der jährlichen Tagung sei, dass neue Methoden vorgestellt und die Teilnehmenden sie in intensiven Workshops direkt selbst testen können, sagte Gerhard Längle, Psychiater und Regionaldirektor am ZfP Südwürttemberg, bei der Begrüßung.
Bewusst seien auch berufspolitische Aspekte ins Programm integriert worden, sagte Simon Senner, Chefarzt der Klinik für Sozialpsychiatrie am ZfP Reichenau und Gastgeber der Tagung. Denn Bewegungstherapeut:innen haben aber bisher keine ausreichend starke Interessensvertretung, gerade auch im Vergleich zu Psycholog:innen und Ärzt:innen. Dabei sei Bewegungstherapie äußerst sinnvoll: „Bewegung kann so wirksam sein wie Antidepressiva.“
Überblick über aktuelle Erkenntnisse
Im ersten Vortrag gab Isabel Maurus, Psychiaterin und stellvertretende Direktorin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München, einen Überblick über aktuelle Erkenntnisse zu den Effekten von Sport bei schweren psychischen Erkrankungen. Sie ging zunächst auf die positive Wirkung von Bewegung und Sport ein. Bewegung sei für die Gesundheit wichtiger als das Körpergewicht. „Es ist nie zu spät, um in den Sport einzusteigen“, ermutigte sie.
Sie stellte auch eigene Forschungsergebnisse aus einer sechsmonatigen Studie zur Wirksamkeit von Sportinterventionen bei Menschen mit Schizophrenie vor. Die Teilnehmenden hatten die Akutphase ihrer Erkrankung bereits hinter sich und waren in einem stabilen Zustand. Während der Studie mit regelmäßigen Trainingseinheiten wurden die Psychose-Symptome weiter reduziert sowie die kognitive und körperliche Leistungsfähigkeit verbessert.
Wie Patient:innen nachhaltig motivieren?
Eine Erkenntnis war aber auch, dass die Eigeninitiative der meisten Patient:innen trotz der nachgewiesenen positiven Effekte wieder nachließ. Daher sucht das Team nicht nur nach Möglichkeiten, Angebote möglichst niederschwellig und wohnhortnah zu gestalten, sondern denkt auch darüber nach, wie eine möglichst persönliche Ansprache und Terminerinnerungen organisiert werden können. Aus dem Plenum kam der Vorschlag, Peergruppen und Genesungsbegleiter in die Organisation einzubeziehen.
Neben Vorträgen gab es vielfältige Workshops, bei denen die Teilnehmenden wertvolle Impulse für ihren Arbeitsalltag erhielten. Die Themen reichten von therapeutischem Joggen, traumasensiblem Yoga und Waldbaden über Bewegungstherapie in engen Räumen bis hin zu Bewegungstherapie in der stationsäquivalenten Behandlung (StäB).
Warum Dranbleiben wichtig ist
Aus der Praxis berichtete auch der Extremkletterer Alexander Huber in seinem Vortrag „Am Limit“. Er erzählte, wie er mit seinem Bruder Thomas einen Rekord nach dem anderen knackte. Da die höchsten Berggipfel dieser Welt von den Menschen schon längst erklettert sind, müssen Grenzen oder „imaginäre Linien des Bekannten“, wie er es nannte, auf andere Weise überschritten werden. Zum Beispiel, indem man auf Hilfsmittel verzichtet und ohne Sicherung klettert – und sich keinen einzigen Fehler mehr erlauben kann.
„Sicherheit kommt von innen heraus“, sagte er. Sie sei eine Kombination aus eigenem Kletterkönnen und mentaler Kraft. Auch Angst sei trotzdem extrem wichtig, weil sie das Überleben sichere, sagte Huber. Er selbst entwickelte im Lauf seiner Kletterkarriere eine Angststörung und überwand sie wieder mit Hilfe einer Therapie. Dabei konnte er auch von einer Erfahrungen profitieren, die er beim Bergsteigen gemacht hatte: Dranbleiben lohnt sich, gerade bei Rückschlägen.
Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Bewegungstherapie bei psychischen Erkrankungen wird zukünftig weiterhin von Ulrich Dautel geleitet, den ärztlichen Part übernimmt Simon Senner vom ZfP Reichenau, der den Staffelstab von Gerhard Längle übernahm.