Frau Roche, Sie forschen zu Napolas und haben mit Ihrem Buch „The Third Reich's Elite Schools: A History of the Napolas“ die erste umfassende Monographie über die ehemaligen Eliteschulen der Nazis geschrieben. Warum haben Sie noch einen Dokumentarfilm gedreht?
Nach umfangreicher Recherche ist mein Buch 2021 endlich erschienen – das Interesse war enorm. Ich habe mehrere Anfragen von Produktionsfirmen bekommen, die für das Fernsehen Dokumentationen drehen wollten. Mir wurde aber schnell klar, dass bei einer Zusammenarbeit jegliche Rechte am Film an die Produktionsfirma übergehen. Ich hätte keine Möglichkeit mehr gehabt, mich kreativ oder akademisch einzubringen. Meine Befürchtung war, dass das Thema ,sensationell‘ aufbereitet werden könnte, aber mir ist eine gründliche, akademische und fundierte Herangehensweise wichtig. Deshalb habe ich selbst zusammen mit einem unabhängigen Projektpartner in verschiedenen ehemaligen Napolas gedreht und sieben Zeitzeugen interviewt.
Welche neuen Erkenntnisse haben Sie bei den Dreharbeiten für Ihre Dokumentation gewonnen, insbesondere in Reichenau?
Jede Napola hatte ihre eigene Tradition und Geschichte. Die ehemaligen preußischen Kadettenanstalten waren traditionsreiche Schulen. Sie unterschieden sich architektonisch stark von Napolas, wie Reichenau und Illenau, die ursprünglich als Heil- und Pflegeanstalten gebaut worden waren. Dort wurden die Patient:innen ermordet, teilweise auch verlegt, um Platz für Napolas zu machen. Das ist ein wichtiger Teil der Geschichte, der so noch nicht hervorgebracht wurde. Diese historische Einordnung und das Gedenken an die Opfer hängen eng zusammen.
Wie machen Sie jetzt weiter?
Die Dokumentation ist nur eine halbe Stunde lang. Ich habe noch so viel Material, das darin nicht vorkommt, sodass ich noch eine längere Fassung machen will. Außerdem möchte ich Bildungsmaterial auf Deutsch und Englisch erstellen.
Dr. Helen Roche ist außerordentliche Professorin für moderne europäische Kulturgeschichte an der Universität Durham. Die Fragen stellte Barbara Baur, Referentin für Unternehmenskommunikation am ZfP Reichenau.